Die prägende Industriekultur von Berlin Schöneweide, eines der größten industriellen Denkmal-Ensembles in Deutschland vor Ort sichtbar zu machen und den Standort zu stärken, das hat sich der Industriesalon Schöneweide zur Aufgabe gemacht. In diesem Sinne waren am 27. Juni 2023 um 19 Uhr Interessierte in die ehemalige Vorwerkstadt des Transformatorenwerkes Oberschöneweide, dem jetzigen Veranstaltungs- und Begegnungsort des Vereins, geladen. Im Mittelpunkt des Salongesprächs stand dieses Mal die Entwicklung des Behrens-Ufers und dessen Bedeutung als Zukunftsquartier für den Bezirk Schöneweide.

Auf dem ehemaligen Industriegelände an der Spree in Oberschöneweide, in direkter Nachbarschaft zur Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), plant die Deutsche Immobilien Entwicklungs AG (DIEAG) den Bau eines der innovativsten und nachhaltigsten Gewerbestadtquartiere der Welt. Am Behrens-Ufer entsteht in mehreren Bauabschnitten ab 2024 bis Ende 2028 eine attraktive Mischung aus historischen und neuen Gewerbeflächen mit insgesamt 235.000 Quadratmetern Mietfläche.

Im Rahmen des Salongesprächs führten Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring, Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der HTW Berlin, sowie Klaus Burmeister, Geschäftsführer bei foresightlab, durch den Abend. Ihnen stand Robert Sprajcar, Vorstand der DIE AG, Rede und Antwort darüber, welche Visionen und Herausforderungen mit dem mehr als 1 Milliarde Euro teuren Bauvorhaben für Schöneweide verbunden sind.

Nach der Vorstellung des Projektes wurde über die Verbundenheit zum Standort in Oberschöneweide gesprochen und es konnten Fragen rund um die Entwicklung des Behrens-Areals gestellt werden.

Ein Rückblick:


Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring: Wissen Sie noch, wann Ihre erste Begegnung mit diesem Standort war und welchen ersten Eindruck Sie hatten?

Robert Sprajcar:
Ich war 2017 das erste Mal auf dem Gelände und oben auf dem Turm des Peter- Behrens-Baus. Und hier wurde mir klar, dass so ein bedeutender Standort vor allem eine Vision für die Zukunft braucht, die an die Vergangenheit anknüpft.  Schon 1917, also 100 Jahre zuvor, wurden hier die ersten Elektroautos produziert und das verstehen wir als Vermächtnis.
 
 
Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring: Was planen Sie genau?

Robert Sprajcar: Wir schaffen ein nachhaltiges Gewerbequartier mit Fokus auf Unternehmen aus den Bereichen Light Industrial und Life Science. Das Besondere hierbei ist unter anderem, dass sich das Quartier autark mit Energie versorgt und soziale Aspekte u. a. mit der Einrichtung von Kunst- & Kulturangeboten, der Zugänglichkeit des Uferweges für alle Menschen und die Einrichtung einer Gastromeile, berücksichtigt. Dabei sind wir mit dem Bezirk in einem sehr guten Austausch und in einem angenehmen Prozess mit dem Stadtplanungsamt und Denkmalamt. Das ist eine für uns eine inspirierende Zusammenarbeit.

 

Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring: Wann können wir etwas sehen?

Robert Sprajcar: Die Abrissarbeiten schreiten voran. Das Besucherzentrum, wir nennen es auch „The Portal“, weil es als Portal für eine Verbindung, zwischen der Vergangenheit und Zukunft steht, soll idealerweise im Spätherbst 2023 eröffnen. Die Sanierung des Peter-Behrens-Baus ist einer der ersten Meilensteine, hier wird ein erster Ankermieter Anfang 2024 einziehen. Gleichzeitig wollen wir ein Food-Village einrichten, um unsere Planung der Gastromeile dort schon einmal abzubilden.

Wir haben hier eine tolle Dynamik auch mit unserem Bauunternehmer, der von Beginn an mit dabei ist – anders als bei normalen Projektentwicklungen. Für die Feinplanung richten wir auch Arbeitskreise, sogenannte „Innovations-Labs“ zu den Themen Energiekonzept, Food und innovative Standortentwicklung ein. Diese werden auch noch einmal wichtige Impulse für einen urbanen Zukunftsstandort setzen. Ende 2028 wollen wir mit dem Projekt fertig werden.

 

Klaus Burmeister: Eine Nachfrage zum Thema Urbanität: Was heißt das eigentlich genau? Ich verstehe darunter auch den Austausch mit den Menschen, den Firmen und den Anrainern. Existiert das schon? Wo wohnen die Mitarbeiter?

Robert Sprajcar: Wir wollen einen Austausch schaffen. Kunst & Kultur sind für den Standort sehr wichtig und wenn wir die Flächen hierzu vergünstigt zur Verfügung stellen müssten, weil sich die Mieter die Flächen sonst nicht leisten könnten, würden wir das tun, denn es geht uns um das große Ganze und es zahlt sich im Endeffekt auf das Quartier aus.

Das Thema Wohnen ist natürlich auch sehr wichtig. Es müssen generell mehr Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Wir beschäftigen uns mit dem Thema Werkswohnungen sehr stark. Das bedeutet, wir würden gerne in der näheren Umgebung des Behrens-Ufers unerschlossene Grundstücke erwerben. Das ist aber noch im Prozess und das können wir aktuell noch nicht entscheiden. Wir sehen hier viel Potenzial darin, es Unternehmen zu ermöglichen, ihren Mitarbeitern eine bestimmte Anzahl an Wohnungen außerhalb des Berliner Wohnungsmarktes anzubieten.

 

Frage aus der Zuhörerschaft: Der Industriesalon ist ja unter anderem daraus entstanden, weil wir die Reste aus dem Werk für Fernsehelektronik gerettet und in unsere Halle gebracht haben. Die große Historie des Areals macht für mich das neue Quartier auch so besonders. Darum möchte ich fragen, welche Vision Sie haben bzgl. der Erlebbarkeit der Geschichte?

Robert Sprajcar: Sie wissen ja, dass wir sehr gerne Exponate von Ihnen in die Außenanlage integrieren wollen. Der Industriekultur kommt an dem Zukunftsstandort Behrens-Ufer natürlich auch eine ganz besondere Rolle zu. Wir werden uns im Rahmen des Kunst&Kultur-Arbeitskreises intensiv mit diesem Thema beschäftigen und hoffen natürlich auf Ihre Mitarbeit und Ihren Wissenstransfer, um die Vergangenheit erlebbar einzubeziehen.

 

Klaus Burmeister: Was Herr Sprajcar noch gar nicht angesprochen hat, ist dass, in der technischen Innovation des Energiekonzeptes auch eine soziale Innovation steckt. Denn m.E. war es im Gespräch, dass die Nutzer einen bestimmten Prozentsatz der Energiekosten für den Kunst- &Kultur-Bereich spenden, um diesen erlebbar zu machen. Ist das noch geplant?

Robert Sprajcar: Ja absolut. Wir müssen natürlich das Energiekonzept im Detail durchplanen. Laut aktuellem Stand decken wir mit herkömmlichen klimafreundlichen Verfahren bereits 97 Prozent des voraussichtlichen Energiebedarfs ab – ohne Geothermie. Die überschüssige Energie soll dann auch verkauft werden. Allerdings streben wir auch an, dass die Energie vergünstigt den Mietern zur Verfügung gestellt wird. Somit hätten die Unternehmen auch den finanziellen Spielraum den Standort zu unterstützen. Hierbei haben wir beispielsweise angedacht je Quadratmeter Nutzfläche einen Euro pro Monat zur Unterstützung des Kunst- & Kulturbereichs berechnen. Das wären bei 235.000 Quadratmetern über 2,8 Millionen Euro im Jahr, die wir gerne im Rahmen eines Sozialfonds nicht nur für Kunst & Kultur, sondern auch für Bildung und Sozialthemen einsetzen können. Diese Idee haben wir nach wie vor und das Thema wird auch angenommen von den Mietern.

 

Teilnehmerfrage: Was passiert in diesem Rahmen mit den Denkmälern des Areals? Was wird hier die Nutzung sein?

Robert Sprajcar: Die Denkmäler werden in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt entsprechend des Sanierungsplans saniert – so z.B. auch beim Peter-Behrens-Bau. Was die Nutzung anbetrifft, so wollen wir wieder „back to the roots“ gehen – In der ehemaligen Halle fünf wird tatsächlich wieder Produktion stattfinden. Ein international tätiges Hightech-Produktionsunternehmen der Elektroindustrie hat insgesamt über 10.000 Quadratmeter angemietet und bezieht neben Produktions- und Laborflächen auch Büroräume im denkmalgeschützten Peter-Behrens-Bau.  Im Fokus der Nutzung für das Gesamtareal stehen für uns Nutzer aus den Segmenten „Light Industrial“ und „Life Science“. Ähnlich wie früher wird der Standort also auch wieder Produktionsstandort werden.

 

Frage aus der Zuhörerschaft: Werden Sie mit der Tiefengeothermie nur so viel Energie im Sinne von Fernwärme produzieren, dass es für das Viertel reicht, oder wird es auch die Möglichkeit geben, dass weitere Gebäude an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden?

Robert Sprajcar: Bei dem Prozess der Stromgewinnung über das geschlossene System der Tiefengeothermie wird Wärme als Nebenprodukt gewonnen, die wir in das lokale Fernwärmenetz einspeisen werden. Wir möchten die umliegenden Gebäude gerne mitversorgen.

 

Teilnehmerfrage: Was passiert mit dem Turmzimmer?

Robert Sprajcar: Wir möchten die Führungen inklusive der Begehung des Turms auch nach den Bauarbeiten weiter fortführen. Um dies zu erleichtern, denken wir bspw. daran, einen Aufzug zu installieren. Konkrete Planungen hierzu gibt es aber noch nicht – auch noch nicht zur Nutzung. Aufgrund der Höhe des Gebäudes gelten hier spezielle Brandschutzvorgaben, die wir bei unseren Überlegungen berücksichtigen müssen.

 

Teilnehmerfrage: Ich habe im Bebauungsplan gelesen, dass die Straßen dann zwar öffentlich zugänglich werden, jedoch weiter unter Ihrer Hoheit bleiben. Wie planen Sie die Benennung? Orientieren Sie sich dabei an historischen Vorbildern oder technischen Erfindungen des Areals?

Robert Sprajcar: Das ist richtig. Wir planen das Gelände als autofreies Quartier – mit Ausnahme von Lieferverkehr. Um dies zu ermöglichen, werden miteinander verbundene Tiefgaragen errichtet. Was die Namensgebung der Straßen betrifft, so haben wir gemeinsam mit der HTW an einen Wettbewerb gedacht, wobei die Vorschläge dann von einer gemeinsamen Jury ausgewählt werden. Wann dies stattfinden wird, steht jedoch noch nicht fest. Noch stehen wir ja erst am Anfang der Bauarbeiten.

 

Klaus Burmeister: Eine abschließende Frage mit Blick in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Mittwoch, den 25. Juli 2035, oben auf dem Behrensturm und denken kurz an das Salongespräch im Jahr 2023 zurück. Sie blicken auf und schauen über das gesamte Quartier, was sehen Sie?

Robert Sprajcar: Ich hoffe, dass es uns gelingt, mit dem Behrens-Ufer auch einen kleinen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und dass wir zeigen können, dass solch ein Konzept für einen ökologisch und sozial nachhaltigen Gewerbestandort mit Fokus auf das leichte Produktionsgewerbe funktioniert und angenommen wird. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen hierherkommen werden, nicht nur zum Arbeiten, sondern auch, um ihre Freizeit hier zu verbringen. Das ist meine Vision und das werde ich 2035 hier sehen.